Es wird ein Mensch gemacht.
Goethe. Faust II
Zwischen uns und Lessing erstreckt sich die Epoche des Menschen und vielleicht können wir erst heute anfangen die Konsequenzen dessen zu beurteilen, was als eine so vernünftige und gütige Idee begann.
„Nathan der Weise“ mit seiner berühmten Ringparabel, den Lessing 1778 nach einer nahezu mathematischen Logik entwirft, zählt zu den literarischen Grundsteinen der Aufklärung und wird herkömmlich als Vision für ein friedliches Zusammenleben der drei monotheistischen Religionen zelebriert.
Doch wie realistisch ist das? Können verschiedene Religionen und Kulturen sich auf eine gemeinsame humanistische Idee verständigen?
Seit Beginn der Aufklärung befinden wir uns an einer Schwelle, wo der menschliche Verstand und die humanistische Idee selbst als eine Art Para-Monotheismus den Platz dessen einnimmt, was bis dahin nur Gott vorbehalten war. In der Ringparabel wird bereits vermutet, dass der wahre Ring womöglich verloren ging. Dies symbolisiert einen historischen Umbruch, dass namentlich die unhinterfragbare Souveränität Gott, König, Vater im Begriffe ist zu verfallen. Und wenn der eindeutige Garant für Gut und Böse verschwindet, ist die Entscheidung jedem Einzelnen überlassen.
Was garantiert aber den Frieden zwischen diesen Einzelnen, geschweige denn gesamter Glaubensgemeinschaften? Reicht Toleranz als Ethik aus? Heute, wo mit Waffengewalt Demokratie erkämpft wird, Extremisten jedweder Glaubensrichtung und politischen Gesinnung Terror verbreiten, scheinen Lessings Fragen aktueller denn je.
Um die Idee der „Brüderlichkeit“ der Völker und Religionen zu veranschaulichen entwirft Lessing eine Geschichte, in der nicht nur „Jud und Christ und Muselmann“, sondern sogar ein klassisch dramatisiertes Liebespaar im letzten Akt als Familie, ja als Geschwisterpaar sich wiederfindet. Den Ausgang der neuen Bindung und die politischen Auswirkungen lässt Lessing aber „unter stummer Wiederholung allseitiger Umarmungen“ offen. Das Stück legt nahe, dass unser Lernprozess vielleicht noch „tausend tausend Jahre“ dauern wird, doch genauso hebt es hervor, dass es dieser Einzelne sein kann, sein muss, von dem unsere Ethik abhängt. Gestern wie heute bleibt der Mann, der in Anbetracht des Mordes an seiner Frau und seinen Kindern durch Christen, die Sorge um ein verwaistes Christen-Baby nicht ausschlägt, das Reale dieser Erzählung: Nathan.
Ulrich Greb versucht in seiner Inszenierung durch eine Rekonstruktion des Textes dem Potential von Lessings “dramatischem Gedicht” nachzuspüren, untersucht die Kehrseite des scheinbaren „Happy Ends“ und fragt nach der Möglichkeit einer friedlichen Gemeinschaft, die Andersheit aufrechterhält.
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20 Minuten vor jeder Vorstellung wird im Foyer eine kurze Einführung zur Inszenierung angeboten. Im Anschluss gibt es ein Nachgespräch.