Über den Tellerrand: WESTWIND-Debatte

Stefan Fischer-Fels (*1964 in Berlin), stellvertretender Vorsitzender der Assitej Deutschland und Vize-Präsident der internationalen Assitej, dem weltweiten Netzwerk der Theater für junges Publikum bei der Eröffnung des WESTWIND-Festivals:

Liebe Freunde, liebe Gäste!

Der freundliche Gastgeber haben mir aufgetragen, für die Assitej zu sprechen, ich sei doch in Kapstadt auf dem Weltkongress gewesen, noch dazu mit einer deutsch-nigerianischen Koproduktion, und ich solle mal von Afrika aus auf die deutsche und NRW-Szene schauen, und ich hätte drei Minuten….Wir haben beim Weltkongress in Kapstadt eine großartige lebendige Kunst- und Theaterszene kennengelernt. Hohe Qualität in der Verbindung von Tanz, Musik und performativem Spiel: Theater als Fest, als Gegenveranstaltung zu einer z.T. unerträglichen Wirklichkeit. Ich hatte das ungute Gefühl, als Europäer – denkend ich wäre der Nabel der Welt – von diesem Reichtum eines in unserem Alltag fast vergessenen Kontinents bisher zu wenig wusste.

Theater reagiert dort in Form und Inhalt auf Armut, Korruption und riskante Freiheiten, vor allem aber auf die Folgen der Kolonialisierung, diesem schamlosen Machtgestus der sogenannten westlichen Welt seit über 200 Jahren. Kolonialismus ist Rassismus als Exportpost. Wer über weltweite Fluchtbewegungen und Rassismus in Europa und in Deutschland reden will, muss die Geschichte des Kolonialismus kennen. Wer in Kapstadt war, sieht dieses Thema mit Dringlichkeit. Künstler in Afrika arbeiten unter politisch und ökonomisch unfassbar schwierigen Verhältnissen. Im besten Fall entstehen daraus nicht Depression, sondern Wut, Hoffnung, Kraft, Witz, Humor und Lebensfreude als Quelle für große Kunst.

Mein starker Impuls ist es zu sagen: Lasst uns kooperieren mit Künstlerinnen und Künstlern aus Afrika. Nicht als Charity, sondern Bereicherung für unsere Kultur. Liebe Westwindler: Lasst auch den Südwind zu, schaut auf diesen Kontinent!

Von Kapstadt aus geht es uns ökonomisch und künstlerisch gut in NRW. Ich meine, ok, wir sind noch lange nicht so weit, dass ALLE Kinder zweimal im Jahr in ein professionelles Theater und nicht nur ins Weihnachtsmärchen gehen! Und es macht uns ein wenig Sorge, dass die Antwort der neuen Landesregierung auf eine auseinanderbrechende Demokratie, auf Trump und AfD, auf die verheerenden Wirkungen des Neoliberalismus weltweit darin besteht, in den Schulen das Fach „Wirtschaft“ einzuführen. Bitte!? Nicht Ethik, Moral, kulturelle Bildung, Demokratie – nein: Wirtschaft? – Back to Africa: Ich würde vorschlagen, dass wir in diesem Fach unterrichten, wie wir mit unserem Reichtum umgehen wollen. In meinem Fach Wirtschaft würde die Überschrift lauten: Lasst uns teilen! Nehmt einen Teil eurer Ressourcen und teilt mit den Kollegen aus dem globalen Süden.

Liebe anwesende PolitikerInnen: Erfindet das Fach Wirtschaft neu! Ermöglicht dieses Teilen! Erfindet Sondermittel und Extratöpfe. Investiert in Faire Kooperationen. Sie sind die Antwort der Theater auf Kolonialismus und Rassismus. Diversität und Vielfalt ist nicht nur eine interkulturelle Angelegenheit in Deutschland, es hat auch eine globale Dimension.

Wir können begreifen, dass die Kinder- und Jugendtheater „rolemodel“ dafür in Deutschland sind und noch mehr sein könnten: Theater als transkulturelle Brücke, interkulturell und international! Das wäre die notwendige Weiterentwicklung unserer vielfältigen wunderbaren Theaterszene hier in NRW. Ein echter Wirtschaftsfaktor. Wird sicher Inhalt im neuen Fach. Wir beraten Sie gern!

Lasst uns heute auch ein wenig dankbar feiern, was wir hier erkämpft haben, und wie verlässlich wir es haben und dass wir in einem friedlichen demokratischen Kontext unsere Kunst ausüben dürfen. Und lasst uns weit über unseren Tellerrand hinaus denken, handeln und uns und andere Kontinente davon neu beflügeln lassen.

Danke!

 

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