„Die Welt hatte einen ungeheuren Riß.“ Mit diesen Worten lässt Georg Büchner den Sturm-und-Drang Dichter Jakob Michael Reinhold Lenz auf die Welt blicken und begleitet ihn auf seinem Weg entlang der Bruchkanten. Die Erzählung „Lenz“ aus dem Jahr 1835 gilt als der Beginn der modernen deutschen Prosa. Sie ist die Geschichte eines Menschen, der sich zunehmend selbst verliert.
Von Goethe aus Weimar verbannt und auf der Flucht vor den Disziplinierungsmaßnahmen seines Vaters sucht Lenz Ruhe in der Natur und beim Pfarrer und Sozialreformer Oberlin, der ihn am 20. Januar 1778 in Waldbach nahe Straßburg in seinem Haus aufnimmt. Doch statt die Abgeschiedenheit zu genießen, wird Lenz mehr und mehr von Stimmen und Halluzinationen verfolgt. Sein Glaube und sein intensives Naturerleben steigern sich bis zum Wahn, eins werden zu müssen mit allen Dingen der Schöpfung. Die Krankheit Lenzens nimmt ihren Lauf – zugleich wächst aber auch sein Widerstand gegen all jene, die ihre Sinne durch allzu sture Alltagsbeschäftigungen betäuben und damit die Empfänglichkeit für die Schönheit des Augenblicks in der Welt verlieren. Im Spannungsfeld zwischen Verrücktheit und Verweigerung „lebt er hin“ – und hat sich dennoch aus der Welt, wie sie scheint, verabschiedet.
So sehr Lenz mit seiner Sprache die Welt begreifen, umfassen und in eine Ordnung zwingen will, so sehr zerbricht sie ihm nach und nach und zerfällt wie Büchners Text ins Bruchstückhafte. Die Entfremdung des Subjekts in einer Welt sozialer Ungerechtigkeit und der Widerstand gegen ein System repressiver Autoritäten sind auch die Themen, die den 22-jährigen Büchner mit Lenz verbinden; ebenso wie das Eintreten für eine Kunst, die die Menschen mit ihrer realistischen Lebenswirklichkeit ins Zentrum stellt.
Mit Zitaten von Ludwig Wittgenstein: Tractatus Logico Philosophicus (1918)
Eine Kooperation mit dem moers festival.