Am Todestag ihres Vaters formuliert ein hochschwangeres Mädchen als „Schriftführer des Tages“ ihre Sicht der Welt. Sie hält sich für einen Jungen und lebt mit dem Vater und dem Bruder in einer Baracke neben dem halb niedergebrannten Herrenhaus der Familie mit der langsam verfaulenden Bibliothek. Hier hat sie sich alleine und ohne Rückbindung an die Realität einen Eindruck von der Welt verschafft. Die Erzählerin durchquert erstmals den Wald, der diese umgedeutete Welt umfängt. Sie platzt mit einem blinden Pferd an Ihrer Seite in eine dörfliche Trauergesellschaft, um eine „Totenkiste“ für den Verstorbenen zu kaufen. Dabei steht ihr Mund vor derben Flüchen, barocken Sentenzen und verdrehter Philosophie niemals still und sie erscheint den einen als Kaspar Hauser, den anderen als edle Wilde. Die Veränderungen ihres Körpers ignoriert die Schwangere bis zur Unausweichlichkeit. Ihre Bekenntnisse sind die Schreckensvision einer Kindheit, geprägt von Isolation und weltanschaulichem Fanatismus. Die Dorfbewohner brechen zu dem Herrenhaus auf, wo eine Familie von Zivilisationsverweigerern leben soll, die durch Bodenschätze zu unfassbarem Reichtum gelangt ist. Mit einer unberechenbaren Sprache nähert sich die Erzählerin der Wahrheit ihrer eigenen rätselhaften Identität.
Der Frankokanadier Gaétan Soucy entblättert mit tiefschwarzem Witz eine groteske Familientragödie um Tod, Schuldabwehr und die grausame Gründungserzählung der anachronistischen Gemeinschaft. Die unsentimentalen Augen seiner Ich-Erzählerin betrachten die moderne Welt im Zerrspiegel der Natur- und Menschheitsideale der Romantik.
Hier finden Sie den Programmfolder der Inszenierung zum Download:
DAS-MÄDCHEN_Faltblatt-STM-web