Pressestimmen zu „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“

Mit Albee hat man alles, wonach sich das vom „postdramatischen Theater“ ermattete Publikum sehnt: Psychologie! Charaktere! Beziehungsterroristen! Menschen aus Hass und Blut. Ein Streitlustspiel! Frank Wickermanns George ist ein müde gewordenes, zähnefletschendes Aufbäumen, Marieke Kregel legt die Rachefrust-Göttin Martha als Befriedigungsmangel auf zwei Beinen an, der sich in Niedertracht hüllt. Aber wichtiger noch ist das Timing, mit dem beide die blitzgescheiten, wie Seelenmesser durch die Luft wirbelnden Dialoge Albees zum Funkeln bringen. Regisseur Philip Preuss, dessen Moerser Moliere („Der Geizige“) gerade zum NRW-Theatertreffen eingeladen wurde, macht die ehemalige Friedhofskapelle zum fünften Akteur des Stücks. Der Tisch mittendrin mutiert zum Beziehungsschlachtfeld, und was da fortwährend spritzt und tropft und plätschert, ist ja nur Wasser – vielleicht wollen sie ja doch alle nur spielen; da fügt es sich denn auch, wenn Außenaufnahmen per Videokamera auf den Tisch des Hauses projiziert werden oder George den Text des Stücks im Buch nachliest. Langer, begeisterter Premierenbeifall nach äußerst kurzen zweieinviertel Stunden.
(Jens Dirksen, NRZ)

Philipp Preuss, der Albees Stück für das Moerser Schlosstheater inszenierte, versucht gar nicht erst, sich in die starke Vorlage einzumischen, sondern baut darauf auf. Er nuanciert behutsam, verzichtet dort auf Requisiten, wo es nur der Imagination bedarf, und überzeichnet dort, wo Humor und Härte nötig sind. Der Abend gehört aber eindeutig Marieke Kregel, die als Martha auf der Klaviatur der Emotionen spielt. Sie giftet, geifert und streitet, um ihren Mann George (Frank Wickermann) vor den Gästen in seinem akademischen Scheitern bloßzustellen und ihn mit Worten zu verletzen, um im nächsten Augenblick selbst absolut verletzlich zu wirken. Preuss gelingt ein sehr dichtes und eindringliches Theaterstück, das Lachen zulässt, auch wenn es zuweilen im Halse stecken bleibt.
(Anja Katzke, RP)

Selten haben wir die unerbittliche Schlacht der Eheleute untereinander und in wechselnden Koalitionen gegeneinander mit solcher Wucht und Härte und schauspielerischer Variabilität ausgefochten gesehen. Selten zuvor kam uns in den Sinn, dass die Spiele, die die vier Protagonisten einander aufzwingen, im Grunde Sado-Maso-Spiele sind – wenn auch nahezu ohne jeden Körperkontakt. Und doch: In den Rundenpausen wird in Moers heruntergefahren, finden die Schauspieler zu fast zärtlichen Tönen – immer aber hat diese Zärtlichkeit und scheinbare Fürsorge etwas Lauerndes. Unendliche Power hat diese Aufführung, und ihr Rhythmus ist selbst dann gnadenlos, wenn er einmal ruhig und still wird.
Was wir erleben in Moers, ist nicht weniger als ein Schauspieler-Fest. Frank Wickermann, Marieke Kregel, Patrick Dollas und Katja Stockhausen geben bei aller Aufgedrehtheit ihren Figuren individuelle, psychologisch fundierte Charaktere. Kaputt sind sie alle, und wie das nach und nach aufgedeckt wird, ist ein Meisterwerk – von Albee, aber auch von Preuss und seinem Team.
Bösartig sind sie auch, Martha und George mehr als die beiden anderen. Aber berührend ist es, wenn Marieke Kregels Martha, als sie sich unbeobachtet fühlt, die Videoprojektion des Gesichts ihres so verhassten Gatten streichelt. Kurz danach richtet sie wieder erbarmungslose, eiskalte Augen auf ihren Mann. Und wütet und schreit und flirtet und flüstert und sondert das Gift eines Skorpions ab, ohne Rücksicht auf Verluste. Die Entwicklung der am Schlosstheater Moers anfangs so blassen Marieke Kregel in ihrem zweiten Jahr nach Abschluss der Schauspielschule ist frappierend – und großartig mitzuerleben. Frank Wickermann, der beruflich gescheiterte, von seiner Frau gedemütigte George, bläht sich auf, brüllt, presst mit ungeheurer Kraft die von keinem gewollten Geschichten und Spiele in die Runde, parodiert perfekt Adolf Hitler und Marcel Reich-Ranicki – und fällt dann immer wieder resignierend in sich zusammen. Doch dieser Kraftprotz wird so schnell nicht aufgeben… – Katja Stockhausen hat die schwierigste Rolle, da ihre Putzi im Text recht naiv und eindimensional angelegt ist. Wie sie zu Beginn die Betrunkene spielt, wie ernüchtert sie später aus ihrem Rausch aufwacht, wie sie in Form einer Horrorfilm-Parodie zum Glockengeläut (wir sind in der Kapelle!) als eine Art schwarze Glöcknerin von Notre Dame durchs Fenster einsteigt –  das sind großartige schauspielerische Glanzstückchen. So hat diesem doch schon so abgespielt erscheinenden Stückchen auch die Regie viele sinnfällige kleine Ideen hinzugefügt – bis hin zu dem sich so furchtbar zuspitzenden Schluss, als Martha, noch nichts von dem ultimativen Vernichtungsschlag ihres Gatten ahnend, die Geschichte des gemeinsamen Sohnes erzählt. Frank Wickermanns George steht währenddessen im ehemaligen Altarraum der Kapelle und spricht eine Liturgie. Wir wissen, warum. Und so endet der Abend mit der Eingangsszene. Kann das Leben, kann die Ehe jetzt noch weitergehen? – Ja, sagt Philipp Preuß. Faites vos jeux, meine Damen und Herren. Die Schlacht ist aus – es lebe der Krieg.
(Dietmar Zimmermann, www.theaterpur.net)

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