Pressestimmen zu „Haarmannsland“

„Rotes Licht, auf der Wand ein ‚Orpheus was here’ und eine Stimme vom Band: ‚Sie betreten jetzt das Reich der Toten. Verhalten Sie sich der Würde des Ortes angemessen.’ Schon auf dem Gang haben die Zuschauer ihr Ticket gelöst für einen Flug in ein Zwischenreich aus Sein und Schein, Leben und Tod, die Pforte zum Paradies oder zur Hölle oder beides in einem. Tische, angeordnet zu einem V, an dessen Ende Haarmann thronen wird (Ausstattung Ariane Erbe): Ein kalter Seminarraum, zum Studium eines Serienmörders.
Die Sensenfrau (Melissa Kumpmann) persönlich führt Haarmann (Jakob Schneider) an seinen Platz. In gut aufgelegtem Ton erzählt er. Davon, wie gern die kleinen „Puppenjungs“ (Stricher) zu ihm gekommen sind. Wie sehr er Käse liebt. Wie er sich vorstellt, berühmt zu sein. Wie hübsch die Jungs doch waren. Wie gehässig die Nachbarn. Und wie sehr er sich freut, seine Mutter im Himmel zu treffen. Ein seltsamer Singsang, der die Zuschauer unweigerlich in den Bann schlägt. Dieser Haarmann wirkt so charmant und nett – wo ist das Monster?
Die Normalität knüpft ein Band mit dem Publikum, lässt Distanz schmelzen. Nur, dass der Schrecken in Sprüngen kommt: Drastisch wechselt Schneider zwischen dem freundlichen Käseliebhaber und dem Mann, der reuelos und bar jeder Moral, ja kindlich lachend von der Zerlegung seiner Opfer berichtet.
Dieses Spiel mit dem Zuschauer versteht Regisseur Matthias Heße; Jakob Schneider schöpft die Situation aus und genießt sie: Direkt eingebunden, ohne Zuschauerraum, gibt es keine Rückzugmöglichkeit für das Publikum. Schneider flirtet mit jungen Männern, stellt sich zwischen die Zuschauer und lässt sie die Befangenheit empfinden, die ihm so völlig fehlt, bringt sie zum Aufstehen wie Lämmer, die ihm vertrauen, legt sich nie fest auf Naivling oder kühl Kalkulierenden. Unterhaltsam und leichtfüßig bewegt er sich durch die von Heße und Dramaturg Felix Mannheim aus den Original-Verhörprotokollen gefertigte, dichte Charakterstudie. Es gibt keine Erklärungen, keine Entschuldigungen, keine Antworten. Nur mehr Fragen und am Ende das Erschrecken – über so viel Sympathie für einen Mörder. Ein spannendes, intensives Experiment.“
(Westfälische Rundschau)

„Ein intensiver und ungewöhnlicher Theaterabend. Jakob Schneider verkörpert das Monster Haarmann, und er tut es ganz hervorragend – weil er die Extreme, die diesen Menschen ausmachten, gut herausarbeitet. Einerseits war Fritz Haarmann ein kindlich-naiver, fast zurückgebliebener, äußerlich sehr gepflegter Mann mit freundlichen Umgangsformen, der gerne Käse aß und sich darauf freute, seine Mutter im Jenseits wiederzutreffen.
Andererseits beschreibt er haarklein seine Methoden zur Leichen-Zerkleinerung, um die Getöteten möglichst unauffällig und ohne sich zu beschmutzen zu entsorgen. Was es so gruselig macht: Jakob Schneider wechselt manchmal mitten im Satz von einem Extrem ins andere. Über ein Opfer: ‚Der war schon ganz blau und ließ sich gar nicht mehr gerade machen.’ Im selben Atemzug an die Besucher: ‚Ach Entschuldigung, wo habe ich nur meinen Kopf: Möchten Sie einen Kaffee?’“
(Ruhr Nachrichten)

„’Warte, warte nur ein Weilchen, bald kommt Haarmann auch zu dir, mit dem kleinen Hackebeilchen, macht er Schabefleisch aus dir.‘, heißt es in einem zum Glück nicht mehr ganz so populären Lied. Der Fall des Mörders Fritz Haarmann ist über die Jahrzehnte zu einem dunklen deutschen Mythos geworden. Belebt hat ihn vor fast 15 Jahren Romuald Karmakar, der als ‚Totmacher‘ Haarmann mit Götz George besetzte.
In Dortmund ist es Jakob Schneider, der den als Massenmörder verurteilten Mann spielt. Ihm begegnet man erst, wenn man über unbekannte Wege zur Probebühne gefunden hat. ‚Orpheus was here‘, steht an der Wand, man ist also kurz vor dem Hades, im Zwischenreich, das Treffen mit dem Killer findet zwischen Leben und Tod statt. Und wie so oft, sieht die Hölle erst einmal ganz normal aus. Ein Seminar-Raum, die Tische in V-Form, vor Kopf wird Haarmann Platz nehmen und berichten. Kafka lässt grüßen, das Dokumentartheater auch. Studieren die Zuschauer den Mörder, oder hält das Monster gar ein Referat? Der surreale Versuchsaufbau lässt das alles offen, vorsichtshalber trägt aber niemand seinen Namen auf den Namenskärtchen ein. Schneider spielt Haarmann so, wie es der historische Text nahelegt. Zuweilen etwas debil, dann bauernschlau, einschmeichelnd, erklärend, gerne auch entschuldigend. Er erzählt von seinen Vorlieben, den bösen Nachbarn, der Lust auf Käse, der Mutter und dem Wunsch, berühmt zu sein. Dann von den ‚Puppenjungs‘, den Strichern, die seine Opfer wurden und wie sehr sie ihn doch mochten. Die Taten stehen plötzlich im Raum – in voller Grausamkeit. Doch gleichzeitig baut man Sympathie mit dem Mann auf, versucht seine Handlungen zu verstehen und ist somit permanent damit beschäftigt, den Wahnsinn und die Gewalt zu verorten. Was denkt er? Wie viel kalte Kalkulation steckt hinter der Fassade? Wem spielt hier wer überhaupt was vor? Und wann lässt er die Maske fallen? Doch es ist keine Maske, und das ist die brutale Erkenntnis. Es ist die gleiche Persönlichkeit, die detailliert übers Traktieren von Leichenteilen erzählt, um mittendrin freundlich zu fragen, ob man einen Kaffee wolle – ‚Wo hab ich nur meinen Kopf‘. Ein ums andere Mal spielen Regisseur Heße und Schneider dieses Spiel mit den Zuschauern und verstärken es dramaturgisch geschickt: Ahnt man kannibalische Auswüchse, werden von der Sensenfrau (Melissa Kumpmann) gar Schälchen mit Erdnüsschen gereicht, erzählt Haarmann vom Kennenlernen seiner Opfer, flirtet er dabei ungeniert mit dem Publikum. Die Fallhöhe macht den Effekt aus, ‚Furcht‘ und ‚Mitleid‘ hießen solche Affekte einst in klassischen Dramentheorien. Hier werden sie eng miteinander verflochten, mit beeindruckendem Ergebnis.
Der historische Umgang mit dem ‚Monster‘ ist übrigens glänzend dazu geeignet, der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten. Angst und Abwehr sorgten für einen schnellen Prozess. Der Tod machte ihn zum Mythos, wie er es vorausgesehen hat.
‚Haarmannsland‘ passt thematisch durchaus in die düstere Reihe, die mit Pulp- und Trashelementen spielt, die finstere Szenarien exerziert, die auch mal puren Horror zeigt. Doch in seiner emotionalen Intensität und der intellektuellen Herangehensweise an ein konkretes Phänomen ragt diese Arbeit des Regisseurs Matthias Heße, des Dramaturgen Felix Mannheim und auch des grandiosen Darstellers Jakob Schneider daraus hervor.“
(Heinz)

 

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