Pressestimmen zu „Der Kirschgarten“

Verlust und Verlustängste offenbaren sich in diesem von nur fünf Schauspielern, die munter zwischen den Rollen hin und herspringen, präsentierten „Gedicht“ mit nihilistischer Poesie und Komik im Nichtstun, in Antriebsschwäche und Streitsucht, in Aufwallungen von plötzlichem traurig-komischem Aktivismus.Und Lopachin, der widerwillige Kapitalist, philosophiert: „Wir spielen uns voreinander auf, und währenddessen vergeht das Leben.“ Das könnte die Metapher gewesen sein für das Theater kurz vor der Schließung. Doch das Leben geht weiter. In einem elegischen Bild sitzen alle auf der Bühne, jeder für sich im eigenen Spotlight, und Kirschblüten regnen auf sie herab. Die Bäume werden abgeholzt, doch alle finden ein neues Leben. Pischtschik wird Bankangestellter, und das Schlosstheater Moers spielt vorerst weiter. Es wurde gerettet und begeistert uns weiterhin mit seinen hinreißend kreativen Interpretationen großer Stücke mit kleinem Ensemble und Etat. Es ist an der Zeit, dass auch wieder mehr überregionale Besucher die Qualität des kleinsten Stadttheater der Republik entdecken.
(Dietmar Zimmermann, Theater pur)

„Fünf Personen spielen einen Tschechow. Nicht irgend einen, sondern den ‚Kirschgarten’, die letzte der Untergangsdramödien einer bürgerlichen Gesellschaft, die wir längst als Bild der unseren begriffen haben. Das Ensemble des Schlosstheaters Moers ist ganz nah dran. Beinahe wäre das kleine, enorm kreative Theater der kommunalen Finanzkrise geopfert worden. Den ökonomisch nutzlosen, aber für die ganze Region wertvollen Kirschgarten als Symbol der bedrohten städtischen Kultur zu deuten, liegt nahe. Regisseur Ulrich Greb gelingt es, Zeigefinger und Larmoyanz völlig zu vermeiden und der Notsituation mit Energie und Spielwut zu begegnen. Fünf Schauspieler, mehr hat das Schlosstheater nicht. Sie verkörpern zunächst die Wartenden auf dem verschuldeten Landgut der in Paris lebenden Ranewskaja. Dann gleiten sie in verschiedene Rollen hinein, was mehrere Deutungen zulässt. Die einfachste wäre, dass sich die einsam vor sich hin brütenden Menschen die ganze Geschichte vorstellen. Es gibt viele surreale Momente in dieser Aufführung, Träume, Fantasien, Erinnerungen. Es ist ebenfalls reizvoll, nachzuvollziehen, wie genau das ‚character shifting’ geschieht, wer wann wen spielt. Denn oft liefert ein einziger Schauspieler These und Antithese zugleich für die Frage, wie mit der Krise umzugehen sei. Doch man kann sich auch problemlos den wechselnden Situationen und Personenkonstellationen hingeben. Greb verbindet Diskurstheater auf hohem ästhetischem Niveau mit direkter emotionaler Wirkung. Was auch dem fantastischen Ensemble zu verdanken ist, das mit wenigen Bühnenelementen spannungsreiche Szenen entwickelt. Katja Stockhausen ist eine junge Ranewskaja, zu leidenschaftlicher Erregung fähig. Wenn sie sich auf den Kaufmann Lopachin stürzt, liegt in den gierigen Küssen auch Verzweiflung und Bitterkeit, vielleicht sogar Lust an der Selbsterniedrigung. Denn auf seine Argumente hört sie nicht, verweigert sich der Erkenntnis, dass die Zeit der Gutsherren vorbei ist und die der bürgerlichen Kapitalisten angebrochen ist. Frank Wickermann zeigt als Lopachin einen zutiefst zerrissenen Menschen. Er kauft den Kirschgarten, doch im Moment des Triumphs packt ihn das heulende Elend. Lopachin schlägt mit einer Axt auf ein Klavier ein, wie der Kirschgarten ein Symbol für Kultur und Tradition. Die Tasten zersplittern, das Holz fliegt durch die Luft, immer wieder drischt Lopachin auf das Instrument, bis zur Erschöpfung. Ein Gewaltakt, der unglaublich brutal wirkt. Auch Marieke Kregel, Matthias Heße und Patrick Dollas liefern präzise Rollenporträts, verbinden psychologische Abgründe mit garstigem Witz.“
(Stefan Keim, www.die-deutsche-buehne.de)

„Eiliges Einrichten. Zeit ist Geld. Damit’s schneller geht, wurden am Tischtuch die Teller und Tassen festgeklebt, die das Ensemble aufdeckt. Praktisch und sparsam. Das Rationalitätsprinzip durchkreuzt Traditionslinien. Tschechows ‚Kirschgarten’, mit dem das Schlosstheater Moers die Saison eröffnet und seine noch gerade so eben bewahrte Existenz beglaubigt, wird gelesen als Tragikomödie des Verschwindens, der falschen Geschwindigkeiten und der eingeforderten Effizienz.Verschwinden soll der Kirschgarten, die Zier des tief verschuldeten Gutes der Ranewskaja, die mit Kind und Kegel aus Paris in ihre alte Heimat zurückkehrt, wo ihr Bruder das Elternhaus bestellt, und wo Lopachin, der Sohn Leibeigener, zu Wohlstand gekommen ist.
Ulrich Greb schaltet den Schnelldurchgang ein, zieht das Tempo hoch, forciert die Stimmung, die hysterisiert, aufgeputscht, angespitzt einen gemütvollen Tschechow-Ton vertreibt und die Seelenmusik übertönt, bis nur noch etwas Schnee aus der Tüte übrig ist und die Wunder der Liebe einzig als blöde Schlager erklingen. Fünf Schauspieler teilen sich, doppelt und dreifach besetzt, in die Rollen. Ohne den Wechsel groß kenntlich zu machen, gleiten sie von einer Figur in die nächste. Auch so lassen sich Sparauflagen für einen Bühnenbetrieb erfüllen – und karikieren. Tschechow als Kommentar zur Krise. Es funktioniert trotzdem. Zum einen könnte es den Anschein haben, als seien die Paris-Rückkehrer nur Wunschphantasie der daheim Sitzenden; zum anderen lösen sich so die Dialoge von den fest umrissenen Charakteren und kursieren als Diskursmasse im Raum. Greb lässt nicht locker. Seine Inszenierung vertritt ein Prinzip: gegen Profit, Spekulation, Kosten-Nutzenrechnung und die Freiheiten des Marktes. In der angespannten Atmosphäre setzt es Ohrfeigen, Küsse verbeißen sich, Ideale stehen nicht hoch im Kurs, feine Manieren haben abgewirtschaftet. Und die Axt im Haus erspart den Klavierstimmer. Das Instrument als Relikt und Insignie bürgerlicher Gesittung wird von Lopachin, dem Vertreter der neuen Klasse, mit Berserkerkraft kurz- und klein gehauen. Grobe Klötze. Kulturkahlschlag.“
(Andreas Wilink, k.west)

„Ein Kracher brennt sich nachhaltig ins Gedächtnis ein. Keine (Kirsch-)Bäume zertrümmert der Lopachin des Frank Wickermann am Ende mit seiner Axt, sondern: ein Klavier. Ein echtes! Alt zwar, aber ein wertvolles, lieb gewonnenes Kulturgut. Minutenlange, spürbar schmerzliche Zerstörung.“
(Vasco Boenisch, Süddeutsche Zeitung)

„Regisseur Ulrich Greb inszeniert Anton Tschechows Komödie ‚Der Kirschgarten’ in der intimen Atmosphäre des sanierten Schlosses als eine entblößende, zuweilen surreale Studie über Schönheit ohne Nutzen oder Wirtschaftlichkeit.
Tschechows Figuren treffen in einer behaglichen Wohnstube aufeinander, die Birgit Angele für diese Inszenierung geschaffen hat: ein Klavier, ein gedeckter Tisch, ein hundert Jahre alter Schrank und viele Klappstühle. Hier verhandeln sie die Versteigerung des Kirschgartens. Es herrscht eine Atmosphäre voller unterschwelliger Aggression, die zuweilen ausbricht: Die Wiedersehensfreude ist so groß, dass es erst zur wilden Knutscherei zwischen Lopachin und Ranewskaja kommt. Als der Kaufmann dann vorschlägt, den Kirschgarten abzuholzen, um Sommerhäuser zu bauen, hagelt es Ohrfeigen. Überhaupt liegt der Inszenierung eine wunderbare, in dem jeweiligen Moment unerwartete Komik inne: Da tappst Matthias Heße als Pischtschik mit nacktem Oberkörper wie ein steifer Balletttänzer über die Bühne. Dann erklingt Musik, die Schranktüre öffnet sich wie von Geisterhand.
Das Publikum erwartet das jüdische Orchester, zu sehen bekommt es ein Cello und eine Geige. Anton Tschechow hatte für seine Komödie kein Happy End vorgesehen. Er entlarvte lieber als scharfsinniger Beobachter die Menschen in gesellschaftlichen Umbruchsituationen. Und das tut auch Ulrich Greb. Er schickt das Publikum mit der Erkenntnis in die Premierenfeier, dass der Kirschgarten alles sein kann, was nicht gewinnbringend ist, sondern einfach nur schön – das Theater selbst zum Beispiel.“
(Anja Katzke, Rheinische Post)

„Starke Premiere von Tschechows „Der Kirschgarten“ im frisch renovierten Theater.
Es kracht, es splittert: Der wunderschöne Kirschgarten ist abgeholzt. Mit der Axt drischt Lopachin (stark: Frank Wickermann) wieder und wieder auf das alte Klavier ein, und das schmerzt nicht nur in den Ohren. Es ist, als schauten die Moerser beim Kahlschlag im eigenen Hause zu. Und so vergehen ein paar denkwürdige Sekunden, bevor das Premierenpublikum am Samstagabend im Moerser Schlosstheater das starke Ensemble nach einigen Vorhängen in den Abend entlässt – nicht ohne ein leises Gefühl der Beklemmung.
Immer wieder gibt es magische Momente: Wie von Zauberhand öffnet sich ein Schrank, aus dem weiße Blütenblätter wirbeln und Musik spielt – poetische Bilder, die von der Zauberkraft des Ortes und der Vergangenheit erzählen.
Trotz grandioser komödiantischer Einlagen ist die Tschechow’sche Komödie in der Greb’schen Version nur bedingt komisch. Fast schmerzhaft nah scheint da die Fiktion an der Realität. Immerhin: Wenn die Protagonisten am Ende des Stückes aufbrechen, schneit es Blütenblätter. Poetisch, magisch, hoffnungsvoll.“
(Gabi Gies, NRZ)

„Ulrich Grebs theatrale Versuchsanordnung ist mehr als nur eine künstlerische Reaktion auf unsere Zeiten. Sie ist eine anarchistische Maßnahme, eine Art Kampfansage, bei der das Theater Ernst macht und dabei nicht nur ein altes Klavier zerstört. Noch vor wenigen Monaten sah es so aus, als ob die erfolgreichste Saison des Schlosstheaters Moers auch seine letzte hätte sein können. Die von der Stadt angekündigten Einsparungen hätten das Ende des Theaters bedeutet. Mittlerweile ist das Schlimmste abgewendet, ein Kompromiss wurde gefunden und das Bestehen des Theaters auf jeden Fall bis 2015 gesichert. Aber gespart werden muss trotzdem, und damit stellt sich die Frage, wie ein Intendant und Regisseur damit umgehen kann. Welche Folgen und welche Möglichkeiten aus den Einsparungen erwachsen? Für seinen ‚Kirschgarten’ hat Ulrich Greb nun die Einsparungen quasi wörtlich genommen. Nur fünf Darstellerinnen und Darsteller, die wie in den Inszenierungen von Jürgen Gosch die ganze Zeit auf der Bühne bleiben, die immer wieder in das Spiel ein- und aus ihm aussteigen, übernehmen die zwölf unerlässlichen Rollen des Stücks. Jeder von ihnen spielt zwei oder drei Figuren. Das ist aber mehr als nur Theater-Ökonomie. So treten Verbindungen und Verwandtschaften ganz offen zu Tage, die bei Tschechow angelegt, aber eben nicht ausbuchstabiert sind.“
(Sascha Westphal, www.mehrtheater.de)

„Man wechselt extrem schnell die Rollen, aber trotzdem schaffen die Schauspieler eine sehr starke Intensität. Es ist eine ganz andere Art, Tschechow wahrzunehmen, das Stück als Gedicht zu begreifen. Man kann sich da einfach hineinfallen lassen und schauen, was wird gerade verhandelt, das Stück situativ sehen – und das funktioniert ausgezeichnet.“
(Stefan Keim, WDR3)

 

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