„Lolita – Ein Drehbuch von Vladimir Nabokov“

In der Inszenierung von Susanne Zaun und Leander Ripchinsky

So sieht man ein intelligentes Konzept, so ideologiekritisch wie gegenwartsorientiert, umgesetzt mit den einfachen Mitteln des kleinsten Stadttheaters in NRW.

Mit der Methode der Satzzerlegung wird auch die Handlung weitergeführt, soweit möglich durch originale Dialogfetzen. So wird der Blick frei für die Reaktionen Lolitas, nicht verstellt durch die selbstgerechten, kunstvollen Rechtfertigungstiraden des Erzählers Humbert. Allerdings fehlt Humberts Rivale Quilty, zu dem Lolita im Roman schließlich flüchtet. Aber der war sowieso nur eine Figur, mit der Nabokov die Leser weiter in die Arme des sympathischen Pädophilen Humbert treiben wollte. Wenn Quilty der noch Bösere ist, kann man Humbert besser entschuldigen. Und das ist nicht das Ziel der Inszenierung.

Zum Schluss wird die Intention noch deutlicher. In rosarote Plastiksäcke gehüllt liefern sich die drei Darsteller:innen eine Wasserschlacht. Ein Dreikampf mit Wassern und Worten. Jeder kotzt dem oder der anderen Nabokov’sche Satzbruchstücke ins Gesicht, bespritzt, bespeit sich gegenseitig mit schlichtem Wasser, schüttet Wassereimer übereinander aus, immer kombiniert mit Satzfetzen aus dem Roman oder Drehbuch. Nabokovs feine Sprache wird entweiht, zerhackt, entästhetisiert. Ein Ekelsatzwassergemetzel. Und die gute Botschaft fehlt dann doch auch nicht. Kurz vorm Ende des Abends ertönt aus dem Off eine Kinderstimme: „Diesmal geh ich dahin, wo ich hin will.“ So ist der Lolita-Mythos demontiert und der Weg ist frei.

Gerhard Preußer, Nachtkritik

 

In der Moerser Stückbesetzung gibt es nicht nur eine Lolita, wie der sie begehrende Humbert Humbert, ein mittdreißiger Professor, die anfangs zwölfjährige Dolorez Haze nannte, sondern gleich drei: nämlich Baby-Jane-Lolita (Matthias Heße), Britney-Lolita (Joanne Gläsel) und Poppy-Lolita (Emily Klinge). Für jenes glamouröse Dreigestirn und ihre Beziehungen untereinander baute das Regieteam als passendes Bühnenbild eine Art Show-Käfig, der aus glitzerfarbenen Fäden besteht und mittels Aufhängung an einer Deckenkonstruktion mehrere voneinander abgetrennte, aber einsehbare Räume schafft. Hierin ließ sich vortrefflich die bekannte Lolita-Geschichte erzählen.

Doch von Epik keine Spur! Hier wurden alle Register gezogen, die das Theater als Schau- und Showbühne, wie auch als moralische Anstalt zu bieten hat. Äußerlich gehörten die wunderbar glamourhaften Kostüme von Mari-Lis Tigasson ebenso dazu wie die phallusartigen Überzieher weiblicher Schwertwale (Orcas) als auch der mehrfach eingespielte Song „Moi Lolita“ von der französischen Sängerin Alizée. Doch die wahren Stars in der Manege der Dreierbeziehung sind die drei Lolitas, verkörpert von Heße, Gläsel und Klinge. Sie spielen und sprechen wie besessen, schaffen somit eine berauschende Theaterinszenierung mit grellen Effekten, verwunschenen Verfremdungen und einer Wasserschlacht, die es in sich hat.

Olaf Reifegerste, Rheinische Post

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